Beten, was ist das eigentlich?
Beten, was ist das eigentlich?
„Beten geht mit Händefalten“ – „Da musst du amen zum Schluss sagen. – “ Beim Beten muss man für alles danken“. – „Man kann auch Gott bitten, dass uns nichts passiert.“ Das sind einige Äußerungen von Kindern zum Beten.
Ich möchte gerne von entsorgen sprechen, wenn es ums Verständnis von Beten geht.
Sprechen wir heute von „entsorgen“, dann denken wir zunächst an Müll, mehr oder weniger giftigen, der entsorgt werden muss. Oder auch an alte Geräte, die wir nicht mehr brauchen können und die wir los werden möchten.
Wenn es um Beten geht, dann geht es auch hier um los werden und entsorgen:
das was bedrückt, ängstigt, verfolgt, vergiftet, krank macht … die Reihe lässt sich fortsetzen.
Es leuchtet unmittelbar ein, Gebet und Seelsorge haben miteinander zu tun. Vielmehr noch, es lässt sich sogar sagen, Beten ist eine Form der Seelsorge. Indem ich bete, sorge ich für mich, entsorge mich, werde meine Sorgen los, gemäß der Aufforderung aus dem 1. Petrusbrief (5,7): „All´eure Sorgen werfet auf ihn, denn Gott sorgt für euch.“
Das Gebet wie die Seelsorge braucht ein Gegenüber. Im Gebet ist Gott das Gegenüber. Gebet lässt sich beschreiben als Gespräch mit Gott, als Kommunikation mit einem Gegenüber. Dieses Gegenüber glauben wir Christinnen und Christen als uns und der Schöpfung wohl gesonnen. Im Gebet bringen wir das, was uns bewegt an Schwerem und Schönen vor dieses göttliche Gegenüber und können loslassen, indem wir bitten, klagen und danken.
Beten hat diesen befreienden Aspekt, der gleichzeitig ein therapeutischer Aspekt ist. Im Aussprechen verliert das Ängstigende seine Macht. Die Angst kann im Benennen gebannt werden.
Im Gebet wird Gott angesprochen. Bilder von Gott entstehen in der Anrede im Gebet:
Vater unser, lieber Gott, Herr, gnädiger Gott, barmherziger Gott und Vater. Traditionell sind die Gottesbilder in den Gebeten von einem männlichen Gottesbild geprägt.
In den Anreden wird ein zugewandter, verständnisvoller Gott als Gegenüber geradezu beschworen. Wen die Not drückt, der braucht keinen Gott, der Angst und Furcht verbreitet.
Nun ist mit Gott, dem Zürnenden und Richtenden oder auch einfach mit der Drohung an die Kinder „Der liebe Gott sieht alles“ auch Angst vor diesem Gott eingeflößt worden. Soll Beten ein hilfreicher und befreiender Akt sein, ein seelsorgerlicher, dann braucht es Gottesbilder, die Geborgenheit und Halt, Bejahung und Wertschätzung zum Ausdruck bringen und keine autoritären Gottesbilder.
Kinder erstaunen die Erwachsenen immer wieder als Theologinnen und Theologen, wenn ihnen der Raum zugestanden wird, ihre Vorstellungen, ihre Sinnfindungen und Welterklärungen zu entwickeln.
Und Kinder denken auch sehr unkonventionell über Gott. Er muss gar nicht allmächtig sein und unsterblich auch nicht.
Tobias jedenfalls mit seinen 7 Jahren sieht es so:
„Wenn der Gott einmal stirbt, dann könnte ich doch sein Nachfolger werden.
Dann würde ich in den Köpfen der Menschen etwas umschalten, wegen der Umweltvergiftung. Aber sterben müssten sie trotzdem noch. Ich brauche ja auch einen Nachfolger.“
Tobias scheint mit dem, wie Gott den Menschen geschaffen hat, nicht ganz zufrieden zu sein. Es muss nachgebessert werden. Die Menschen machen das nicht richtig im Umgang mit der Umwelt. Aber Tobias stellt nicht generell Gott in Frage. Gott ist Gott, auch wenn er nicht perfekt, allmächtig und sterblich ist. Es gibt sozusagen ein Amt „Gott“, das man übernehmen kann und auch wieder abgibt. Das Amt bleibt.
Mit diesem Gott kann Tobias sich auseinander setzen. Und da er nicht allmächtig ist, wird er auch nicht alle Gebete erhören können. Es geht dann im Gebet nicht darum, Gott überreden zu müssen, ihn gnädig stimmen zu müssen, sondern ihm die Dinge zu klagen, die schief laufen, ihm Vorschläge zu machen, wie es besser werden könnte. Es geht um loswerden, um gehört werden, um andere Ideen, Perspektiven zu bekommen.
Wenn mit Kinder gebetet wird und Mädchen und Jungen an das Gebet herangeführt werden, dann wird es darauf ankommen, dass sie ihr Gegenüber, ihren Gott finden können. Und diesem Gegenüber können sie dann ihr Leben, ihre Sorgen, ihre Freuden erzählen.
Offene Runden mit einem Stein oder einer Blume als Symbol für Schweres und Schönes, helfen Kinder im ritualisierten Gespräch, das los zu werden, was sie beschäftigt, belastet und freut. Und führt sie heran an die Möglichkeit und die befreiende Wirkung des Betens.
Im Gebet begeben wir uns in einen Raum, der uns über uns selbst hinausführt, wir beziehen uns auf ein Gegenüber außerhalb des eigenen Selbst und stellen uns in einen größeren Rahmen als ein Teil der Schöpfung, in der wir herausgefordert, aufgehoben und gehalten sind.
DU, Gott, Ewige,
der Du Mauern sprengt,
die du Sterne tanzen lässt,
wälze doch nochmals
den Stein uns vom Grab
und tau uns auf in unserer Starre,
Du Atem des Lebens.
Johanna Wittmann