Braucht Gott Theater?
Braucht Gott Theater?
Theater lebt von Inszenierung! Die Gestaltung der Bühne, die Kostüme, der Gesang, die Musik und die Dialoge, dies alles gut in Szene gesetzt, kann Begeisterung hervorrufen.
Ist Theater gut gemacht, dann nimmt es uns mit hinein in die Ereignisse auf der Bühne. Wir werden Teil davon. Das Hier und Jetzt der Bühnenwirklichkeit lässt die Welt draußen verblassen. Das Erleben ist ganz im Hier und Jetzt.
Meine erste Erfahrung im Theater war genau so, ich saß mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf den Baumstämmen. Die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne war aufgehoben durch die Inszenierung. Mein Leben, meine Befürchtungen und Träume spielten sich auf der Bühne ab.
Ebenso oder auch noch eindrücklicher bleiben die Inszenierungen in Erinnerung, in denen ich für eine Rolle angefragt wurde, so im Krippenspiel.
Engel sein oder Hirte, oder gar Maria! Die Rolle wird ein Teil von mir und ich ein Teil der gespielten Person. Mit der Rolle kann ich plötzlich eine ganz andere sein und werde von anderen mit neuen Augen gesehen.
Auch die Religionen leben von Inszenierung. Damit fing überhaupt alles an, die Wurzeln des Theaters liegen in den religiösen Dramen, die im Kult inszeniert wurden. Die Gläubigen wurden an den Festen durch Rituale und kultische Handlungen hinein genommen in die Inhalte der Religion. So wurde die jeweilige Religion erfahrbar und vermittelbar.
Die Oberammergauer Passionsfestspiele sind ein Beispiel der Inszenierung eines religiösen Dramas heute. Zehn Jahre dauert Vorbereitungszeit, ein ganzes Dorf ist damit beschäftigt.
Das Drama, die Passion Jesu, wird mit der Inszenierung ein aktuelles Geschehen.
Es ist nicht mehr nur ein Ereignis, das vor langer Zeit geschehen ist, Zuschauer und Mitspielerinnen finden ihre Fragen und die existentiellen Verunsicherungen ihrer Zeit in dem alten Drama wieder. Das alte Drama ist die Passionsgeschichte, die von den Evangelisten, jeweils unterschiedlich, schon als Drama erzählt wird.
Die Geschichten der Bibel insgesamt stehen in einer Erzähltradition. Im Erzählen werden sie inszeniert. Erzählen ist auf Miterleben angelegt. Die Zuhörer und Zuhörerinnen sollen Teil der Geschichte werden.
Nicht zuletzt wird jeden Sonntag mit dem Gottesdienst ein Drama inszeniert.
Dazu gehört das Kirchengebäude an sich. Der gesamte Kirchenraum bildet die Bühne mit den besonders belegten Orten.
Der Chorraum mit dem Altar. Dort ist der Ort für das Abendmahl, die Gebete, die Lesungen. Das Taufbecken hat seinen Ort sowie die Verkündigung, die Auslegung der Heiligen Schrift auf der Kanzel.
Die Musik hat ihren zugewiesenen Platz mit der Orgel und die Teilnehmenden im Kirchenschiff.
Die Feier des Gottesdienstes selbst nimmt einem dramatischen Verlauf.
Der Eingangsteil nimmt hinein in das Thema des Gottesdienstes. Die Gebete und Texte helfen, zu sich zu finden, Beschwerendes abzulegen und frei zu werden für eine neue Perspektive. Diese neue Perspektive, die Erweiterung der Lebenssituation bildet den Höhepunkt des Gottesdienstes, des Dramas in Verkündigung, Bekenntnis und Stärkung im Abendmahl.
Der Schlussteil des Gottesdienstes nimmt die Welt, in die wir zurückkehren in den Blick mit den Fürbitten, und hilft mit dem Segen über die Schwelle zurück in den Alltag.
Braucht Gott Theater?
Wir Menschen jedenfalls brauchen die Inszenierung unseres Glaubens. Glauben ist nicht nur eine Kopfsache, der Erklärungen reichen. Glaube braucht zu seiner Stärkung die Möglichkeit zur Inszenierung all der Gefühle, die das Leben bereit hält und der Hoffnungen, die uns leben lassen.
Braucht Gott Theater? Mit der Schöpfung hat Gott eine grandiose Inszenierung geschaffen. Ein grandioses Schauspiel der Natur. Eine atemberaubende Dramaturgie. Und zu Weihnachten feiern wir den Rollenwechsel Gottes. „Gott wird Mensch“.
Soviel kann vielleicht gesagt werden:
Gott, so wie wir Ihn/Sie als schöpfende und neu schöpfende Kraft glauben, mag Theater.
Johanna Wittmann