Darf ich das noch sagen?
Darf Pippi Langstrumpfs Vater noch Negerkönig genannt werden? Ist es wirklich korrekt, den blassrosa Farbstift als „Hautfarbe“ zu bezeichnen?
Dazu besteht große Ungewissheit im öffentlichen Diskurs. Was darf ich noch sagen? Was verletzt oder diskriminiert Minderheiten? Was verhärtet bestehende (ungerechte) Machverhältnisse? Nicht selten wird darüber nicht besonders sachlich, sondern sehr emotional diskutiert.
In neueren Pippi Langstrumpf Ausgaben gibt es eine Fußnote zum Begriff des Negerkönigs, die darauf hinweist, dass der Begriff „Neger“ zu Zeiten Astrid Lindgrens üblich war, man heute eher den Begriff „Schwarze“ nutzen würde. Im Sommer wurde beschlossen, die Berliner „Mohrenstraße“ umzubenennen. Das sind nur einige Beispiele für die aktuelle Diskussion. Auch über alte Liedtexte und Gedichte, die beispielsweise Frauen häufig als Objekt der (Männer-)Begierde abstempeln, wurde heftig gestritten. Die Gegner der Umbenennungen schreien auf, weil sie sich bevormundet fühlen und eine übertriebene political correctness wittern. Die Befürworter wollen einen Schlussstrich ziehen unter diskriminierende und rassistische Gepflogenheiten in der gelebten Kultur. Dazwischen gibt es aber auch noch viele, die vor allem eines sind: unsicher. Einerseits wollen sie gewiss niemanden diskriminieren, andererseits verstehen sie die Aufregung häufig nicht. „Das ist doch nicht böse gemeint“ oder „das haben wir doch schon immer so gesagt“, heißt es dann.
Andere Argumente gegen Umbenennungen oder Meidung verschiedener Begriffe betonen, die Geschichte werde dadurch nicht geändert und man verursache hiermit schlimmstenfalls sogar das Gegenteil: dass sich mit Geschichte weniger befasst wird. Genau das soll natürlich nicht passieren. Es darf nicht zu einer Beschneidung des öffentlichen Diskurses und zu einer Abschwächung des Hinterfragens von Machtverhältnissen und Ungerechtigkeiten kommen. Die Offenheit der Debatte muss selbstverständlich bleiben, eine „cancel culture“, also ein Unterdrücken unliebsamer Stimmen in Kunst und Kultur beispielsweise durch schlichtes Nicht-Zeigen muss vermieden werden. Trotzdem sollte Sensibilität und Rücksichtnahme das oberste Gebot sein. Der aktuelle Diskurs eignet sich hervorragend, um Missverhältnisse aufzudecken und über Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen in der Vergangenheit (und zum Teil Gegenwart) zu sprechen. Sogar Kindern lässt sich schon gut erklären, warum sich Bezeichnungen verändern und damit bei ihnen verschiedene Kompetenzen schulen, wie Perspektivwechsel und Verantwortungsbewusstsein. Es soll aber nicht zu Angst kommen, etwas unbewusst falsch zu machen. Wir stehen gesellschaftlich noch am Anfang dieser Debatte und das gesteigerte Bewusstsein ist bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Statt „Darf ich das noch sagen“ sollten wir uns eher „Möchte ich das noch sagen?“ fragen. Wenn dadurch die Gefahr besteht, (unbewusst) Gefühle Mindermächtiger zu verletzen oder Machtstrukturen im kulturellen Gedächtnis weiterzugeben, dann sollte die Antwort „Nein“ heißen. Klar sein muss aber auch, dass dies ein gesellschaftlicher Prozess ist, und es nicht zu Verboten oder Stigmatisierungen kommen sollte, die bei Menschen Ängste auslösen, sich unbewusst diskriminierend zu äußern und dadurch die Debatte einschränken.
Antje Schönwald