Das christliche Kreuz – was bedeutet es?
Das christliche Kreuz – was bedeutet es?
„Oma, der Jesus ist tot“, die fünfjährige Milena sagt das beim Zubettgehen nach einem erfüllten Sommertag. Oma erwidert darauf ganz verblüfft: „Aber Milena, Jesus ist nicht tot, er ist doch auferstanden!“ Darauf Milena: „Nein, Oma, er hängt tot am Holz.“ Sie kam an diesem Tag an einem Wegkreuz vorbei, an einem Kreuz mit dem Gekreuzigten daran.
Auf das Kreuz, ohne oder auch versehen mit dem Leib Jesu, richtet sich das ganze Kirchenjahr über der Blick. Es ist das zentrale christliche Symbol, nicht nur in der Passionszeit und an Karfreitag. So ist für Kinder, aber sicherlich nicht nur für sie, das Kreuz als Auferstehungssymbol nur schwer verständlich. Das Kreuz, auch das leere, lässt zuerst an Leiden und Tod denken, nicht an neues Leben.
Das Kreuz mit dem längeren Längsbalken, das Symbol für die christliche Religion, zeigt ein Kreuz, das nicht im Gleichgewicht ist. Dieses aus dem Gleichgewicht gekommene Kreuz weist hin auf das Kreuz als Hinrichtungswerkzeug, an dem Jesus von Nazareth gestorben ist. Die Erinnerung an die Hinrichtung haftet dem Kreuz an.
Es ist eine Stärke der christlichen Religion, dass Leiden und Tod nicht verdrängt werden. Und gleichzeitig Leiden und Tod nicht das letzte Wort behalten. Im Zeichen des Kreuzes kann all die Ungerechtigkeit, alles Leiden, alle Gewalt, all das aus dem Gleichgewicht geratene Leben einen Ort finden und benannt werden, beklagt und angeklagt werden.
Die Deutung des Kreuzes als Lebenssymbol drückt die Hoffnung des Glaubens aus, dass der Tod Jesu nicht ein Scheitern ist und Gottes Wirken damit nicht zu Ende und abgebrochen ist: Der Tod, Leid und Gewalt kann das Leben und Gottes Wirken nicht aufhalten! Ganz im Gegenteil, Gott ist mit im Leiden und den Leidenden.
Das leere Kreuz ist zum Auferstehungssymbol erklärt werden. Aus sich selbst lässt es zunächst nicht an Auferstehung denken. Wäre es ein gleichseitiges Kreuz, das in Harmonie, im Ausgleich ist, das Gegensätze miteinander verbindet, oben und unten, links und rechts und in einem Kreuzungspunkt alles zusammen führt, könnte es eher ein Auferstehungssymbol sein.
Es könnte ausdrücken, Gott hat etwas wieder ins Gleichgewicht gebracht, hat durch allen Schrecken und alles Leiden hindurch das Leben gestärkt.
Nicht nur die Hinrichtung Jesu haftet dem Kreuz an, als solches ist es auch heute ein Aufschrei gegen all das auch von Menschen verursachte Leiden, gegen all die Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unterdrückung.
Im Zeichen des Kreuzes gab es aber auch in der Geschichte des Christentums Unterdrückung und Gewalt. Kreuzzüge, die die Botschaft vom Gekreuzigten mit Gewalt und Schwert brachten. Hexenverbrennungen im Zeichen des Kreuzes. Unrecht, Leid und Gewalt, Krieg und Zerstörung im Zeichen des Kreuzes. Auch diese Geschichte haftet dem Kreuz an.
Und auch die Geschichte der Theologie des Kreuzes, der Deutung des Kreuzestodes Jesu ist eine belastete Geschichte.
Auf die Frage „ Warum musste Jesus am Kreuz sterben?“ – wurde als eine theologische Antwort der Kreuzestod Jesu interpretiert als Opfer, als Sühne für unsere Sünden, die Gott verlangt. So wird Gott zu dem, der ein Opfer will, der seinen Sohn opfert für die Menschen. Dorothee Sölle sagt es so: „Jeder Versuch, das Leiden als unmittelbar oder mittelbar von Gott verursacht anzusehen, steht in Gefahr, sadistisch über Gott zu denken.“
Darf ein blutiges Menschenopfer verstanden werden zum Heil für andere? Legitimiert dies nicht gerade die blutigen Opfer, die heute gebracht werden für welche Interessen und Weltanschauungen auch immer?
Die zentrale Botschaft der Evangelien von Passion und Auferstehung prangert aber gerade Gewalt, auch „heilige Gewalt“ und die Forderung nach Opfern an.
Es braucht ein vorsichtiges Reden, wenn es um eine theologische Deutung des Kreuzes und des Kreuzestodes Jesu geht.
Jesus ist hingerichtet worden von einer staatlichen Macht, weil er Machthabern und Interessen in die Quere gekommen ist. Menschen haben ihn getötet, nicht Gott.
Dass damit Gott aber nicht am Ende ist und wir Hoffnung haben können für unser Leben, – auch für das Misslungene und Beschädigte – dafür will das Symbol des leeren Kreuzes stehen.
Diese Hoffnung, diese Kraft ist mit Geschichten und auch anderen Symbolen, die neu zu entdecken sind, zu stärken und zu gestalten, immer wieder, nicht nur zu Ostern.
Johanna Wittmann