Evangelisch, was ist das eigentlich?
Evangelisch, was ist das eigentlich?
Vielfältig und bunt zeigt sich der Protestantismus.
Muss das denn wirklich sein? Konnten die sich nicht einigen? Das ist doch nur verwirrend: Lutherisch, reformiert, uniert. Dann gibt es die Baptisten, Pfingstgemeinden und und und… Und alle verstehen sich als protestantische Kirchen. Wer soll sich da noch zurechtfinden. Und was für Bild geben wir den anderen Religionen und auch den Katholiken von uns: Uneins, streitlustig und auf Unterschiede fixiert, die niemand mehr versteht.
Mit Kopfschütteln und Überforderung reagiert so mancher auf die Vielfalt im Protestantismus, nicht zuletzt aus den eigenen Kreisen.
Und es ist auch so, man konnte sich nicht einigen auf ein Verständnis vom Abendmahl, vom Wirken des Heiligen Geistes, von der Bedeutung der Taufe, und was es heißt, aus Gnade gerettet zu sein. Für uns ist es heute oft nicht mehr nachvollziehbar, welche Bedeutsamkeit diese Unterschiede für die Reformatoren hatten.
Noch in den 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in lutherisch geprägten Kreisen nach der Melodie von „Nun danket alle Gott“ gesungen:
Die Reformierten sind
wie wir vom Papst geschieden.
Doch leider leben wir
hinieden nicht im Frieden.
Denn erstens halten sie
nicht recht das Abendmahl
und zweitens lehren sie
die falsche Gnadenwahl.
Seit 40 Jahren nun leben die Reformierten, Lutheraner und Unierten, sowie die ihnen verwandten vorreformatorischen Kirchen der Waldenser und der Böhmischen Brüder in mehr Frieden miteinander. Am 16.3.1973 wurde in der Schweiz die Leuenberger Konkordie unterschrieben.
Unter dem Stichwort versöhnte Verschiedenheit, geht es auch um die gegenseitige Anerkennung von Taufe und Abendmahl.
Das unterschiedliche Verständnis etwa vom Abendmahl muss nicht mehr kirchentrennend sein.
Für die lutherischen Kirchen ist die Präsenz Christi im Abendmahl, ausgedrückt in der Formel „mit, in und unter“ Brot und Wein die zentrale Botschaft. Den Reformierten geht es um den Aspekt der Gemeinschaft. Das Abendmahl wird als Gemeinschaftsmahl gefeiert.
Die Unterzeichnenden der Leuenberger Konkordie halten nach vielen Lehrgesprächen das gemeinsame Verständnis des Evangeliums fest. Dieses ermöglicht ihnen, Kirchengemeinschaft zu erklären und zu verwirklichen. Allein auf Jesus Christus ist die Kirche gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet.
In der Taufe, mit Wasser vollzogen, wird im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes der Mensch unwiderruflich in die Heilsgemeinschaft Jesu Christi aufgenommen und in die Nachfolge berufen.
Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. In der Feier des Abendmahls bekennen wir die Gegenwart des Auferstandenen unter uns.
Zu der im Liedvers angesprochenen „falschen Gnadenwahl“ wird festgehalten: Gott nimmt die Menschen bedingungslos an. Aus den Texten der Bibel kann nicht abgeleitet werden, dass Gott Personen oder ein Volk definitiv verwirft. Gegenseitige Verurteilungen werden zurückgenommen und öffnen den Weg zu neuen Gesprächen.
Weiterhin bestehen beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen. Diese Unterschiede werden nicht mehr als kirchentrennende Faktoren gesehen. Es ist nicht nötig, dass sich alle auf ein Verständnis, auf eine Form einigen. Die Vielfalt kann bleiben. Es geht um Anerkennung der jeweils anderen und um Zusammenarbeit um eines größeren Auftrages willen, letztlich die gute Botschaft den Menschen auf die je ihnen angemessene Weise zu verkündigen.
Die Leuenberger Konkordie kann ein Vorbild sein für den Umgang miteinander in den verschiedenen Religionen: Gemeinsamkeiten entdecken, sich in der Verschiedenheit akzeptieren und um Verständigung ringen. Gemäß des Bibelverses: Prüfet aber alles und das Gute behaltet. (1.Thessalonicher 5,21)
Die Wahrheit Gottes und die Botschaft von der Menschwerdung Gottes kann in verschiedenen Farben bezeugt und gestaltet werden. So wie Gott viele Namen hat und nicht festgelegt werden kann. Die Vielfalt im Protestantismus spiegelt etwas wieder von der Vielfalt Gottes.
Johanna Wittmann