Glauben wir an einen grenzenlosen Gott?
Glauben wir an einen grenzenlosen Gott?
„Über den Wolken, da muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“ so singt Reinhard May und viele singen dieses Lied immer wieder gerne mit ihm.
Es gibt eine große Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit, nach Ent – Grenzung, nach Freiheit.
Von klein auf erfahren Mädchen und Jungen Grenzen, neben allem wachsen und sich entfalten. „Nein, das ist zu gefährlich! – Nein, das gehört dir nicht! – Da bist du noch zu klein…“ Das Leben hat Grenzen, das erfahren wir früh. Und es geht immer auch darum über Grenzen zu kommen. Grenzen zu überschreiten.
Es geht um ganz unterschiedliche Grenzen: Landesgrenzen, grüne Grenzen, Stacheldrahtgrenzen, eine Mauer durch Berlin und Jerusalem. Aber auch um meine Grenzen, die mich behindern, kränken, an meine Grenzen bringen.
In der religiösen Sprache ist die Sehnsucht nach Entgrenzung sehr deutlich abgebildet: Es ist viel die Rede von: „alle, immer, jeder, ganz“. Da werden die Grenzen der Endlichkeit, Geschöpflichkeit, der Geschlechterdifferenz, der Nationalität in der Sprache des Glaubens aufgehoben:
„Hier ist nicht Jude und Grieche, Mann und Frau, alle sind eins in Christus.“ So schreibt Paulus im Brief an die Galater 3,28.
Die großen biblischen Traditionen erzählen von der Überwindung von Grenzen. Der Auszug aus Ägypten bringt dem Volk Israel die Befreiung aus der Sklaverei. Die Erzählung von Ruth berichtet von der Überwindung nationaler und gesellschaftlicher Grenzen.
Und die zentrale Botschaft des Neuen, des Zweiten Testamentes verkündigt mit der Auferstehung Jesu die Entmachtung des Todes.
Heißt das, der christliche Glaube glaubt einen grenzenlosen Gott?
– Er ist immer da, liebt alle Menschen, gibt ewiges Leben. –
Die Frage ist, hat Gott Grenzen?
Ist der Glaube an einen erlösenden Gott, der Glaube an einen grenzenlosen Gott?
Die Menschwerdung Gottes, die wir an Weihnachten und Epiphanias feiern, was bedeutet sie für Gott? Gott wird Kind, Gott begibt sich in Grenzen.
Slavoj Žižek, ein Philosoph aus Slowenien, der sich mit der Theologie des Paulus beschäftigt, setzt sich mit der Rede von der Vollkommenheit Gottes auseinander: „Gott gilt als Inbegriff der Vollkommenheit, gerade deshalb fehlt ihm etwas. Ihm fehlt die Erfahrung des unvollkommenen, des Mangels und der Endlichkeit. Zugespitzt: Was Gott fehlt ist die Erfahrung des Todes. Erst in seiner Unvollkommenheit ist der christliche Gott vollkommen…
Gott gibt seine Ewigkeit und Vollkommenheit preis und stirbt (Phil 2, 6-8)…
Anders als im platonischen Eros, der ein Aufstieg vom Niedrigen zum Höheren ist, vollzieht die christliche Liebe genau die umgekehrte Bewegung einer Selbsterniedrigung vom Heiligen zum Profanen vom utopischen Jenseits zum gelebten Hier und Jetzt…
Das Christentum dagegen vollzieht den Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen, vom furchterregend jenseitigen Gott zur jämmerlichen Gestalt Christi, die mit uns solidarisch ist, weil sie unser profanes Leben und Sterben mit uns teilt….
Von allen Religionen führt allein das Christentum die religiöse Erfahrung bis zu dem Punkt, an dem jede religiöse Sinnstiftung scheitert: in der Begegnung mit dem sterbenden Gott am Kreuz.
Was bleibt nach dem Tod Gottes? Die Antwort gibt das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs: Was bleibt, ist die Liebe. Alles hört auf, die Liebe bleibt… Paulus stellt sich der also der Erfahrung, dass Gott in der Welt scheitert, aber er entdeckt gerade in diesem Scheitern etwas, das über es hinausweist. Indem Christus seine Niederlage akzeptiert, erringt er einen Sieg über das Siegen, über das Gesetz dieser Welt, das da lautet: for winners only.“
Und weiter Žižek: „Wahre Liebe ist genau das Gegenteil, nämlich der Verzicht auf die Verheißung der Ewigkeit zugunsten eines unvollkommenen Individuums. Nur ein mangelhaftes, verwundbares Wesen ist zur Liebe fähig. Das eigentliche Mysterium der Liebe besteht daher darin, dass die Unvollkommenheit einen höheren Stellenwert hat als die Vollkommenheit…
Vielleicht besteht die eigentliche Leistung des Christentums darin, dass es ein liebendes (unvollkommenes) Wesen in den Rang Gottes, das heißt den der Vollkommenheit schlechthin erhebt. Darauf beruht der Kern der christlichen Erfahrung.“ (zitiert aus einem Artikel in Die ZEIT, vom 17.12.08 S.54/55)
In der Theologiegeschichte wurde lange der Schöpfungsglaube vernachlässigt. Nicht die Endlichkeit, die Begrenztheit der Schöpfung war im Blick, es ging vielmehr um Überwindung der Endlichkeit, darum dem irdischen Jammertal zu entkommen. Aber unsere Welt, die Schöpfung ist begrenzt, ist endlich und wir glauben sie als gut, so wie sie von Gott geschaffen ist.
Neben der Sehnsucht, den Grenzen zu entkommen, steht die Erfahrung, wie nötig es ist, sich abzugrenzen, einen Claim abstecken: Meins – Deins zu klären. Und auch Einhalt zu gebieten: Bis hierher und nicht weiter.
Es geht auch bei Grenzen um Schutz, Sicherheit, einen Platz haben, der mir gehört, um den ich nicht täglich zu kämpfen brauche.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, das ist der Glaube an einen Gott, der aus zu engen Grenzen führen will, die Leben verhindern. Und gleichzeitig gilt:
Der Exodus führt nicht in die grenzenlose Freiheit. Auf dem Weg ins Gelobte Land gibt es Gebote für die Freiheit.
Der Dialektik von Grenzziehung und Grenzüberwindung entkommen wir nicht. Grenzen können schützen, Grenzen können töten.
Und wir entkommen nicht der Dialektik, dass wir einen Gott glauben, der aus Grenzen führt und sich zugleich in Grenzen und mit in unsere Grenzen begibt und unser Leben teilt.
Johanna Wittmann