Müssen wir gehorchen?
Müssen wir gehorchen?
„Kein Mensch hat das Recht auf Gehorsam“. So formulierte die Philosophin Hannah Arendt. Sie war Beobachterin des Eichmann Prozesses in Jerusalem. Menschen, die an der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten beteiligt waren, rechtfertigten sich damit, nur ihre Pflicht getan und Befehle ausgeführt zu haben. Dies ist der Hintergrund für Hannah Arendts radikaler Aussage.
Der christliche Glaube spricht immer wieder vom notwendigen Gehorsam gegenüber Gott. Heute müssen wir uns fragen, wie ist „Gehorsam“ jenseits blinder Autoritätshörigkeit, als der er verstanden wurde, zu füllen? Was meint „Gehorsam“ in einem positiven, lebensfördernden Sinn? Die Rechtfertigung des Begriffes „Gehorsam“ kann nicht wieder die Etablierung autoritärer Systeme meinen.
Fulbert Steffensky möchte Gehorsam mit „Aufmerksamkeit“ übersetzen und ihn so als eine Ausformung der Liebe verstehen. Er schreibt: „Das Gegenteil von Gehorsam ist nicht Ungehorsam, das Gegenteil ist Taubheit und Willkür. – Man müsste Autonomie und Mündigkeit wollen und gleichzeitig das Ungenügen an sich selbst lernen. In spirituellen Traditionen galt als Grundübel, sich selbst, den eigenen Willen, die eigene Ansicht zum Maßstab des Denkens und Handelns zu machen. Es geht dabei nicht um eine Selbstdemütigung, sondern die Entleerung vom Willkür-Ich, wie sie vielleicht am stärksten in der Benediktinerregel und im buddhistischen Mönchtum ein Ideal ist. (…) Aufmerksamkeit ist nicht nur eine Technik der Selbstbildung. Sie ist zärtlich, sie sieht von sich selbst ab und ist Dingen und Menschen zugewandt. Gehorsam, Zuwendung und Aufmerksamkeit sind sich niemals selbst Ziel. Sie sind innere Haltungen. Fatal war der Gehorsam in der Geschichte der Religionen immer da, wo er Ziel war, nicht aber Weg zu den Kreaturen, mit denen wir leben. Es gibt keine Tugenden, die in sich selbst begründet wären. Wenn es nicht Ausformungen der Liebe und der Gerechtigkeit sind, dann taugen sie nichts und sind gefährlich.“ (Chrismon 11.2012, S. 47f)
Es geht darum, nicht nur auf sich selbst zu hören und sich selbst auch Grenzen zu setzen. Der Willkür zu widerstehen. Das will gelernt sein, wie alles im Leben.