Stammbäume in der Bibel – wie kann man sie verstehen?
Stammbäume in der Bibel – Wie kann man sie verstehen?
Wahre Kunstwerke sind da zu bewundern, wenn es um Stammbäume geht. Feinstens und mit Sorgfalt ausgestaltet und verziert, leuchtende Farben und Gold fehlt auch nicht. Da wird sich Mühe gemacht.
Das sind keine spillerigen Bäumchen. Nein, sie haben mächtige und starke Laubbäume zum Vorbild. Eindrucksvolle Bäume wie Eichen, Buchen, Ulmen mit starken Ästen und weit verzweigt.. Sie strahlen Kraft und Standfestigkeit aus.
Wer einen Familienstammbaum erstellen will, betreibt Ahnenforschung und ist meistens bemüht, möglichst weit in die Vergangenheit vorzudringen und Namen und Personen zu verifizieren, die zur eigenen Geschichte gehören.
Es scheint ein großes Bedürfnis zu geben, herauszufinden, wer zum persönlichen Stammbaum gehört. Zumindest gibt es im Internet Vorlagen zu erstehen, um einen Familienstammbaum zu erstellen.
Was treibt dieses Bedürfnis an?
Es sind wohl die sehr existentiellen Fragen, die da lauten:
Wer bin ich? Wo komme ich her? Was hat meine Familiengeschichte geprägt? Wie kann ich mich verstehen?
Es geht um Verortung und Orientierung. Es geht darum, sich in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Verbunden mit der Hoffnung, sich selbst besser zu verstehen, Identität zu stärken und Halt zu finden, wie es die eindrucksvollen Bäume symbolisieren.
„In der Familienforschung (Genealogie) ist ein Stammbaum die Darstellung der namentlich bekannten Nachkommen einer (früheren) Person oder eines Paares; dabei wird die Person oder das Paar zuunterst angezeigt mit nach oben verzweigenden Verbindungslinien zu ihren „Abkömmlingen“ und deren Nachfahren.“ so Wikipedia.
Diejenigen, die ihren Stammbaum erstellen wollen, gehen umgekehrt vor. Sie beginnen bei sich und den Eltern und gehen dann möglichst weit zurück.
In der Bibel finden sich Seiten lange Genealogien. Auch im 3. Buch Mose, Numeri, nachzulesen:
„Die Söhne Josefs nach ihren Geschlechtern waren: Manasse und Ephraim.
Macher, daher kommt das Geschlecht der Machiriter; Machir zeugte Gileas, daher kommt das Geschlecht der Gileaditer.
Dies sind die Söhne Gileads: Jeser, daher kommt das Geschlecht der Jesiriten, Helek, daher kommt das Geschlecht der der Helekiter…“ Numeri 26, 28-30
So geht das noch über 40 Verse weiter.
Warum wird diesen Abstammungen soviel Raum, vor allem im Ersten Testament, der Hebräischen Bibel, eingeräumt?
Diese Abstammungslisten legitimieren die Personen, die darin aufgeführt sind, dass sie zur großen Familie des Volkes Israel gehören. Sie definieren Identität über Herkunft und geben Auskunft über Ursprung, in dem sie auf einen Ahnvater, weniger die Ahnmütter zurückgeführt werden. Sie legitimieren Ansprüche und Autorität.
Einzelne mit ihren je eigenen Traditionen werden in ihrer Abstammung zusammengebracht. Sozusagen wird Diversität in eine Familiengeschichte eingebunden und so wird Zusammengehörigkeit gestärkt.
Fortgeführt verweisen das Konzept der Genealogien in der Bibel auf die Einheit der Menschheit, indem alle auf die einen Erzeltern Eva und Adam zurückgeführt werden, die Gott erschaffen hat. Alle können sich als Söhne und Töchter Gottes verstehen.
Gleich am Anfang der Evangelien von Matthäus und Lukas wird Stammbaum Jesu eingeführt. Noch bevor die Geburt Jesu erzählt wird erfahren wir bei Matthäus ( Kapitel 1) etwas über seine Abstammung. Bei Lukas (Kapitel 3) nachdem die Geburt Jesu schon bekannt ist. Die Stammbäume von Matthäus und Lukas unterscheiden sich. Bei Matthäus wird die Abstammung Jesu bis auf Adam aufgeführt. Bei Matthäus geht sie zurück auf den Erzvater Abraham. Auch sonst werden die Linien über unterschiedliche Personen auf die Ahnväter zurückgeführt. Manche Bibelgelehrte heute vertreten die Ansicht, dass Lukas die Linie über Maria, also über die Blutsverwandten verfolgt, während Matthäus über Josefs Linie ableitet. Lukas erklärt dazu: „ und (Jesus) wurde gehalten für einen Sohn Josefs“ (3,23).
Es geht bei den Stammbäumen Matthäus und Lukas nicht um eine präzise Darstellung der Herkunft Jesu. Es geht um die Botschaft, dass Jesus ein Nachkomme Adams ist und als ein Sohn Abrahams gehört er zum Volk und in der Nachfolge von Abrahams Segen bringt Jesus das Heil für alle Völker, für Juden und Andersgläubige.
Als „ Sohn David“ wird er zum königlichen Heilsbringer. Ein Gesalbter, der Messias.
Die Stammbäume bei Matthäus und Lukas verkünden über die Rückführung seiner Herkunft über David zurück auf Abraham und Adam, über die Botschaft der Hebräischen Bibel, wie dieser Jesus zu verstehen ist. Die Stammbäume charakterisieren Jesus grundlegend.
Bei Matthäus gibt noch eine Besonderheit. Neben all den Männern erwähnt er fünf Frauen. Es sind Tamar ( 1. Mose 38), Rahab (Josua 2), Rut ( Das Buch Rut), Batseba (2. Samuel, 11), und Maria. Er stellt sie quasi an die Krippe Jesu mit ihren Lebensgeschichten und deren Botschaft.
Den ersten vier ist gemeinsam, dass sie alle Nichtjüdinnen sind und Gutes für das Volk Israel bewirkt haben. Matthäus will wohl mit dem Verweis auf sie seinen Adressaten sagen, dass die Botschaft von Jesus sich nicht nur an die Judenchristen, sondern auch an die Heidenchristen richtet. Für Toleranz und Offenheit zu werben und diese in der Geschichte zu verankern war und ist wohl zu allen Zeiten notwendig.
Lesen wir die Geschichten der vier Frauen nach, so öffnet sich eine Tür, die einen Blick in das turbulente und herausfordernde Leben von ihnen gewährt. Plötzlich sind die langen Namenslisten nicht mehr langweilig, sondern höchst spannend.
Tamar verkleidet sich als Dirne, verführt Juda, ihren Schwiegervater mit List und bekommt so ihr Recht, ihre Anerkennung, die man ihr in der Familie ihres Mannes verweigert hat. Sie gebiert zwei Söhne und erhält den Stamm Judas so am Leben.
Ihre Botschaft kann sein: Es geht um Recht und Gerechtigkeit auch für Frauen. Dafür lohnt sich hoher Einsatz.
Rahab, die Kanaänerin, auch ihr wird nachgesagt, dass sie als Dirne lebt. Sie war aber in der kanaanäischen Gesellschaft, indem sie an einem der Heiligtümer Dienst tat, und als Jungfrau unverheiratet blieb, womöglich eine durchaus angesehene Frau.
Sie hilft jedenfalls den Kundschafter des Volkes Israel vor ihren Verfolgern zu entkommen. Bei der Einnahme des Landes wird sie und ihre Familie verschont. Ihr Kennzeichen ist die rote Schnur.
Ihre Botschaft kann sein: Seid klug wie die Schlangen und verliert euch nicht in verlorenen Kämpfen. Behaltet den roten Faden, den Lebensfaden im Blick.
Rut ist Moabiterin. Ihre Schwiegermutter Naomi will nach dem Verlust ihrer beiden Söhne und ihres Mannes aus Moab zurück in ihre Heimat nach Bethlehem. Rut kommt mit ihr in ein fremdes Land mit einem anderen Glauben. Sie heiratet Boas , einen verwandten von Naomi und gebiert einen Sohn und wird so zur Ahnfrau von König David.
Ihre Botschaft kann sein: Grenzen überwinden. Sich aufmachen und sich einlassen und beschenkt werden.
Batseba, die Frau von Urija. David schickt ihren Mann an die Front. Er wird getötet und David nimmt sich Batseba. Ihr erstes Kind stirbt. Dies wird als Strafe Gottes für den Ehebruch verstanden. Ihr zweites Kind, Salomo, wird der Nachfolger Davids als König des Volkes Israel. Er gilt als sehr weiser König, der den Tempel baut und auch mit anderen Religionen tolerant verfährt.
Ihre Botschaft kann sein: Ich will nicht Opfer sein. Ich kann etwas tun. Ich habe meinen Sohn zu einem menschenfreundlichen und toleranten Mann erzogen. Er hat seine Spuren in der Welt hinterlassen, dank meiner.
Matthäus sieht Jesus auch in der Linie dieser Frauen und der Botschaften ihrer Lebensgeschichten. Im Sinne dieser Frauen und ihres Tuns soll er verstanden werden.
So erweisen sich die Stammbäume als starke Verkündiger, die Auskunft geben über Identität, Zugehörigkeit, Autorität. Die Halt und Orientierung geben und zum Verstehen der Botschaft des Ersten und zweiten Testamentes helfen.
Sie sind sorgfältig gestaltete Kunstwerke, die entdeckt werden wollen.
Johanna Wittmann