Warum musste Jesus überhaupt sterben?
Warum musste Jesus überhaupt sterben?
Er wurde angeklagt, sich als Sohn Gottes und König der Juden zu begreifen. Das war für die einen Majestätsbeleidigung. Für die anderen war es Gotteslästerung. Und es barg die Gefahr des politischen Aufruhrs. So viel zum offiziell formulierten »rechtlichen« Anklagegrund.
Im Horizont der neutestamentlichen Texte musste er sterben, um den Menschen eine neue Lebensperspektive zu eröffnen. Mit seinem Leiden und Sterben, in dem Gott gegenwärtig war, sollte er die heillose Situation von Menschen überwinden. Deren heillose Situation besteht darin, dass ihre Beziehung zu Gott, zu anderen und zu sich selbst durch Sünde gestört ist oder zerstört wird. Sünde ist dabei viel mehr als ein moralisches Fehlverhalten. Sünde ist der Inbegriff aller nur denkbaren Formen absichtlicher oder auch unabsichtlicher Lieblosigkeit, die das Leben zersetzen: Lüge, Hass, Trägheit, falscher Stolz, Nachlässigkeit, Gewalttätigkeit, Ignoranz, Missgunst … Diese Formen haben ihren tiefsten Grund darin, dass sich Menschen in übersteigerter Weise mit sich selbst beschäftigen und alles und jeden, auch Gott, instrumentalisierend auf sich selbst beziehen.
Auf diese Weise plant ein Mensch nach eigenem Gutdünken andere Menschen und Gott ein oder aus – zugunsten eines ihm selbst möglichst immer noch mehr Leben ermöglichenden Masterplanes. Damit verstellt er sich den Ort, der ihm in der Welt zukommt und sein Dasein lebens- und liebenswürdig macht. Durch seine Lieblosigkeit beschädigt der Mensch auch sein eigenes Leben. Er schädigt die von Gott den Mitmenschen zugesprochenen Lebensperspektiven oder macht sie sogar zunichte.
Es ist wichtig, die so entstehende tiefe Schuld, mit der Menschen Gott, ihren Mitmenschen und Mitgeschöpfen und sich selbst unendlich viel schuldig bleiben, immer wieder beim Namen zu nennen. Wird diese Schuld verleugnet oder relativiert, kann nicht mehr verständlich werden, weshalb Gott sich in entsprechende Schuldverstrickungen hineinbegeben hat und genötigt war, sie selbst aufzulösen.
Quelle: EKD-Text „Für uns gestorben“, S. 161