Werte vermitteln – wie geht das eigentlich?
Werte vermitteln – wie geht das eigentlich?
Werte, Umwertung, neue Bewertung, Renaissance der Werte…
es ist wieder notwendig über Werte, Wertevermittlung, Wertebindung nachzudenken.
Die Wertediskussion ist in vollem Gange. Was ist es wert, was ist wertvoll? Was erweist sich als wertlos? Was vormals Gold versprach, erweist sich als Schrott. Wertpapiere nur noch Papier.
Wo sind die Maßstäbe, die Richtlinien?
Eine gewisse Hilflosigkeit hat sich ausgebreitet.
Es gibt Versuche, Ansatzpunkte zu finden. So mancher setzt bei den Kindern an. Die Pädagogik wird angefragt. In der Linie von „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ titeln Ratgeber für das Erziehungspersonal mit „Kinder brauchen Werte“. Sicherlich, nur suggeriert diese Forderung jetzt, als wäre damit schon klar welche Werte gemeint sind und als wären Kinder in den letzten Jahrzehnten ohne Werte aufgewachsen.
Als hätten Kinder keine Werte! Als könnte es möglich sein, groß zu werden, ohne eine Ethik zu entwickeln, ohne zu definieren, was gut und böse ist, richtig oder falsch. Von klein auf bringen Mädchen und Jungen Werte mit. Diese Werte bilden sie aus dem Erleben mit ihrer Umwelt heraus. Die Frage ist, ob wir diese Werte gut finden, die Kinder und ihre Familien mitbringen. Und ob diese Werte den jungen Menschen dienen können, ein gutes Leben zu gestalten. Und ob diese Werte der Gemeinschaft, gerechten Verhältnissen, unserem Planeten dienlich sind. Es genügt nicht allein Werte zu fordern, diese müssen auch definiert werden.
Es ist nicht zu übersehen, dass mit der neuen Diskussion um Werte, die Werte die sich im Zuge der Globalisierung auch herausgebildet haben – wie Wachstum, Erfolg, Quote, Flexibilität – fragwürdig geworden sind. Und im Gefolge schleicht sich mancherorts eine rückwärtsgewandte nostalgische Tendenz in die Diskussion. Mit der unausgesprochen These, dass es früher vielleicht doch besser war, die Werte besser waren. Aber sicherlich auch das Einsehen, dass sich allein den Gesetzen des materiellen Gewinns zu verschreiben zur Gefährdung unseres Planeten überhaupt führt.
Womöglich ergeht daher der Ruf verstärkt an die Kirchen, Werte zu vermitteln in einer desorientierten Welt. Werte, die mit Kirche und christlichen Glauben verbunden werden, wie Zusammengehörigkeit, Sorge für die Benachteiligten, Nächstenliebe, Demut, Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung.
Und doch wie geht das: Werte vermitteln, wenn denn klar ist welche.
Gute Vorsätze und Moralpredigten erweisen sich nicht als effiziente Form der Wertevermittlung, das ist eine allgemeine Erkenntnis, die jede und jeder bei sich selbst nachprüfen kann.
Was führt dann aber zur Wertebindung und befördert sie? Wenn die Einforderung es nicht schafft.
Hans Joas, der Sozialwissenschaftler mit ausgewiesenem philosophischen und theologischen Interesse vertritt die These: Einerseits: „ Man muss von etwas Ergriffensein, etwas greift gewissermaßen nach uns, ergreift uns“ und andererseits braucht es Freiheit. „ Die Empfindung des Mit-sich-selber-identisch-Bleibens als eine intensive Form der Freiheitserfahrung“. Versinnbildlicht in dem Lutherzitat: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
Wertebindung durch die Erfahrung von Ergriffensein und Freiheit. –
Wenn dem so ist, würde das für die Kirchen und ihre Institutionen bedeuten statt Moralpredigten zu halten, Anlässe zu schaffen, die zumindest ein Ergriffensein befördern und es Menschen erlauben, identisch mit sich selbst zu bleiben. Die Kirchen haben die Ausstattung dafür und einen großen Erfahrungsschatz in ihren Ritualen und Glaubensinhalten.
Wobei es ja auch deutlich sein muss, dass Ergriffensein nicht produziert werden kann, wenn viele es auch versuchen. Gegen diese Machbarkeit und Manipulationsgefahr liegt der christliche Vorbehalt im Glauben an das Wirken des Heiligen Geistes, der bekanntlich weht, wo er will.
Ein Beitrag heute und hier zur Wertebildung ist, nicht direkt mit der Arbeit zu beginnen, sondern eine Andacht zu halten, – eine Auszeit zu nehmen – eine Zeit die sich der Produktivität entzieht, dem Zeit ist Geld – Schema und einen Raum zu schaffen für Transzendenz, für die Möglichkeit über uns selbst hinauszukommen; sich einer größeren, weiteren, anderen Dimension zu öffnen.
In diesem Tun definieren wir Wertvolles.
Bildern aus der Pfingstgeschichte beschreiben Ergriffensein so:
Plötzlich bricht der Sturm los,
wirbelt durcheinander, nimmt in seinen Bann.
Es wird rot von Feuerzungen, warm, heiß.
Das Leben vor die Füße geweht mit Macht:
Begeistert werden, außer sich sein, ganz sein.
Angst und Kleinmut wie weggeweht.
Nichts hält mehr im Versteck:
hellwach, trunken,
hinein ins Leben
und andere anstecken mit Leichtigkeit.
Verständigung über Barrieren und Fremdheit hinweg,
begleitet und angetrieben von der göttlichen Geistkraft,
die weht, wo sie will.
Voll des Lebens, kraftvoll, sinnlich,
über-sich-hinaus-Wachsen.
Verstehen und sich verständlich machen.
Eingebunden in den göttlichen Kraftstrom,
bejaht, bewegt und eingeladen
zur Feier des Lebens.
Nachzulesen in Apostelgeschichte 2.
Johanna Wittmann