Tagung in Paris 2014 – deutsch
Fünf Sterne für die
Tagung „Wird die Kirche in Zukunft noch mitreden? Kirche gestalten unter säkularen Bedingungen“,
die in Paris vom 26.-29. November 2014 stattfand.
Die Tagung, die von der evangelischen Akademie des Saarlands in Zusammenarbeit mit „Le Pont“, dem Begegnungszentrum der evangelischen Kirchen in Europa ausgeschrieben und organisiert wurde, trug den Untertitel „Der Laizismus in Frankreich: Chancen und Sackgassen“.
Wie man kirchliche Arbeit unter der Bedingung der Trennung von Kirche und Staat (im Folgenden kurz als „Laizität“ bezeichnet) gestalten kann, war die Fragestellung, mit der sich neun Teilnehmende aus Deutschland und aus der Schweiz, überwiegend Pfarrer, vier Tage lang in Paris beschäftigten.
Sie erfuhren in fünf Schritten wichtige, jedoch für die evangelische Kirche in Deutschland beinahe noch unbekannte Tatsachen hinsichtlich der Situation in Frankreich. Sieben bekannte und ausgezeichnete Experten im Blick auf die Laizität informierten umfassend über die geschichtlichen Besonderheiten des französischen Religionssystems und seinen Folgen für die kirchliche Arbeit: Jean Baubérot (Professor der Religionssoziologie), Sylvie Angot (französische Germanistin), Andreas Lof (reformierter Pfarrer), Stéphane Lavignotte (Pfarrer und links angesiedelter Journalist), Antoine Nouis (Chefredakteur der „Reforme“, der einzigen evangelischen Wochenzeitung der französischsprachigen Welt), Anne Oberkampf (Gymnasiallehrerin für Deutsch und Ehefrau eines Pfarrers) und Andy Buckler (Pfarrer und Leitungsmitglied der unierten evangelischen Kirche Frankreichs.
Alle Referentinnen und Referenten waren sehr engagiert, die Situation der evangelischen Kirche darzustellen (in Frankreich handelt es sich dabei um eine kleine Minderheit von weniger als 2 % unter allen religiösen Strömungen) sowie anderer Religionen wie den Islam. Sie legten Wert darauf, den evangelischen Christen aus den Nachbarländern, die oft eine gute Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat z.B. hinsichtlich Kirchensteuern oder schulischem Religionsunterricht kennen, die Bedingungen kirchlicher Arbeit in einer laizistischen Umgebung zu vermitteln.
So lernten die Tagungsteilnehmer das wichtige Gesetz von 1905 kennen, das bis heute die juristischen Beziehungen zwischen dem französischen Staat und den Religionen regelt mit weitreichenden Folgen für die Gläubigen aller Religionen in Frankreich. Beispiele für diese oft negativen Konsequenzen sind zahlreich: So steuert der Staat weniger zum Unterhalt evangelischer Kirchen bei als bei katholischen (dies hängt mit der Enteignung des katholischen Kirchenbesitzes von 1905 zusammen), auffällige religiöse Zeichen wie das Kopftuch oder eine Weihnachtskrippe sind in öffentlichen Gebäuden verboten oder es kann einem Vater, der Pfarrer ist, untersagt werden, in der Klasse seines Sohnes seinen Beruf vorzustellen – andere Berufsgruppen sind davon selbstverständlich nicht betroffen.
Darüber hinaus ist der Islam seit den Anschlägen von 2001 in New York zu einer großen Herausforderung für die französische Laizität geworden, die diesbezüglich dafür benützt wird, um Muslime zu kontrollieren und auch zu verletzten. Muslimische Frauen müssen beispielsweise das Kopftuch ablegen, wenn sie die Klasse ihrer Kinder bei einem Schulausflug begleiten. In einem solchen Fall solidarisieren sich häufig evangelische Christen mit Muslimen.
Andererseits bekommt man problemlos Halalfleisch in den öffentlichen Kantinen serviert oder Muslime können eine Beerdigung nach ihrem Ritus gestalten, was in Deutschland noch nicht überall möglich ist.
Diese Beispiele machen deutlich, dass die Laizität, die sich häufig modern und positiv äußert (außer wenn sich die Religionen gewaltbereit zeigen), auch zu paradoxen Situationen führen kann. Auch wenn die katholische Kirche von diesem Gesetz in Bezug auf den Unterhalt ihrer Gebäude profitiert, stimmten die Protestanten Frankreichs 1905 für die Trennung von Kirche und Staat, um das Land von der Vorherrschaft der katholischen Kirche zu befreien. Daher kommt es, dass die Mitglieder der evangelischen Kirche bis heute den Wert dieses Gesetzes für die französische Gesellschaft schätzen.
Das größte Problem, von dem alle Experten sprachen, ist jedoch die „schweigende Laizität“. Damit ist gemeint, dass die evangelischen Intellektuellen in Frankreich sich nicht trauen, ihre Stimme für ihren Glauben zu erheben und sich für ihr Bekenntnis einzusetzen. Diese „Katholaizität“ wie der Journalist Stéphane Lavignotte sie bezeichnete, ist entstanden, weil man die katholische Kirche nicht stören wollte. Seiner Meinung nach besitzen die französischen Medien leider nicht die nötige Kultur, um religiöse Themen aufzugreifen, weil es an religiösen Spezialisten mangelt.
Für die Medien sind die Vertreter der Religionen nur interessant, wenn es sich um einen kirchlichen Skandal handelt, nicht jedoch, wenn die Kirchen sich für die Umwelt engagieren oder sich z.B. für sozial benachteiligte, Behinderte und betagte Menschen einsetzen. Die evangelische Stimme fehlt unter den Intellektuellen Frankreichs und leidet unter ihrer Selbstbegrenzung im öffentlichen Raum. Darüber hinaus tut sich die katholische Kirche schwer, die Verschiedenheit anderer Glaubensrichtungen oder abweichender Familienstrukturen zu akzeptieren.
Aber die Tagung fand nicht nur im Foyer statt. Es gab außerdem zwei Exkursionen, die sehr konkret und eindrücklich das protestantische Leben in Paris vor Augen stellten. Donnerstagnachmittags empfing Andreas Lof, reformierter Pfarrer aus den Niederlanden die Gruppe in seiner Vorortgemeinde in Bois-Colombes, wo man sehr viel über die praktische Arbeit in einer evangelischen Gemeinde erfuhr. Die Gemeinde dort ist nicht nur ein Ort für Gottesdienst, Predigt und kirchliche Zeremonien sonntags, sondern vielmehr ein Zentrum für alle Angelegenheiten des Alltags. Über die Seelsorge und die Unterstützung für bedürftige Personen hinaus gibt es als zusätzliche Vereine der Kirchengemeinde das „Zentrum 72“ und das Jugendhaus, die für alle geöffnet sind.
Dort finden Bibelkurse für jedes Alter statt, Events wie z.B. Floh- und Kleidermärkte, Konzerte, Kirchweih, das christliche Kinofestival oder es starten von dort geführte Spaziergänge durch Paris. Auch Pfadfindergruppen, politische Diskussionsforen, interreligiöse Begegnungen und zahlreiche andere kulturelle, sportliche und künstlerische Aktivitäten haben dort ihren Platz. Es war beeindruckend, über dieses Gemeindeleben von einem sehr eingespannten und dennoch engagierten hoffnungsvollen Pfarrer zu hören.
Am nächsten Tag besuchten die Tagungsteilnehmer die Redaktion der „Réforme“ und wurden von deren Herausgeber, Antoine Nouis, ebenso freundlich willkommen geheißen. Die Wochenzeitung beschäftigt vier Journalisten, drei davon in Vollzeit und mehrere frei Mitarbeiter in beinahe allen Ländern. „Réforme“ lässt Bibel und Aktualität in drei Teilen auf einander treffen: In einem evangelischen Blick auf das aktuelle Tagesgeschehen, den Informationen über kirchliches Leben und der spirituellen und theologischen Weiterbildung. Die Zeitung hat, wie die gesamte französische Presse auch, – ein finanzielles Problem und muss sich über Werbung und Mäzene finanzieren. Trotz dieser Schwierigkeiten versteht sie sich als unabhängig von allen Kirchen. Sie zu lesen gehört zu einer protestantischen Identität in Frankreich. Das wichtige Gut der Pressefreiheit gibt ihr auch das Recht, kirchliche Arbeit zu kritisieren. Mit einer Ausgabe der „Réforme“ unter dem Arm verließ jeder Teilnehmer diesen für die protestantische Stimme Frankreichs wichtigen Ort.
Anne Oberkampf und Andy Buckler informierten die Gruppe am letzten Tag über die schulische Situation angesichts der Laizität sowie den Herausforderungen für die evangelische Kirche und ihren Antworten darauf. Das öffentliche Bildungswesen ist von großem Wert für den französischen Staat, weil sich daraus gute Bürger entwickeln, die sich für die drei Schlagworte der französischen Revolution von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ einsetzen. Daher erließ Jules Ferry, ehemaliger Bildungsminister das Gesetz, die Schule müsse „öffentlich, laizistisch, verpflichtend und kostenlos“ für alle Kinder im Alter von 6-13 Jahren sein. Dieses Gesetz, das die Religion im öffentlichen Raum ersetzt, brachte in seiner Folge den Rückzug aller religiöser Angelegenheiten ins Private mit sich: Das heißt kein Religionsunterricht an staatlichen Schulen, keine religiösen Zeichen in öffentlichen Gebäuden, keine Fragen zum Glauben, keine christlichen Weihnachtslieder etc. Man kann daran gut sehen, dass Laizität alle Franzosen verbindet, aber gleichzeitig einen Mangel an Vielfalt und eine Menge Probleme für Gläubige an den Schulen mit sich bringt. Christliche Lehrer trauen sich nicht, über ihren Glauben zu sprechen oder Kinder zu deren Glauben zu fragen, sie wagen es nicht, ihre Schüler über religiöse Feste, Bräuche und Lieder zu informieren – sie schweigen darüber.
Aus diesem Grund nützen sie Austausche nach Deutschland, um ihre Schüler religiös zu bilden. Hier wird das Problem deutlich, wenn Laizität zu einer Sackgasse nicht nur für die Kirchen, sondern auch für die kulturelle Bildung wird, weil inzwischen eine zunehmende Anzahl junger Franzosen nichts mehr über das christliche Erbe weiß, welches das Land geprägt hat und notwendig ist, um Zusammenhänge der modernen Welt zu verstehen und ethische Urteile fällen zu können. Das Problem der Laizität ist also nicht die Religion, sondern die Unkenntnis darüber. Rektoren, die die Situation an ihren Schulen verbessern wollen und Vertreter verschiedener Religionen einladen, um eine Diskussion zum Thema Toleranz zu eröffnen, riskieren im besten Fall einen Tadel oder eine Abmahnung, im schlimmsten Fall ihre Versetzung, nur weil Religionsvertreter die Schwelle der Schultür überschritten haben.
Christliche Eltern lösen dieses Problem, indem sie ihre Kinder zu den Pfadfindern und in den Katechismus Unterricht schicken oder ihre Kinder an privaten Schulen anmelden, deren Anzahl zunimmt und die sehr beliebt sind, auch wenn es Benachteiligungen beim Abitur für deren Schüler gibt. An diesen Schulen dürfen auch muslimische Mädchen ein Kopftuch tragen, es wird ihnen sogar per Gesetz erlaubt.
Weil die Religion (sprich die katholische Kirche) jahrhundertelang immer eine Menge Probleme mit sich brachte, besteht in Frankreich eine allgemeine Angst vor allem Religiösen, aber vor allem vor dem Islam. Christliche Lehrer sehen das europäische Schulsystem daher als große Chance, um den Schülern religiöse Bildung zu vermitteln.
Andy Buckler ergänzte die Ausführungen von Anne Oberkampf, indem er die evangelische Mentalität mit „royalistischer als der König“ bezeichnete und viel problematischer als das Gesetz von 1905 es selbst vorgibt. Trotzdem sieht er viele Möglichkeiten, was die evangelische Weiterbildung in den Gemeinden angeht. Sie bildet für ihn die Basis, damit evangelische Christen in der französischen Gesellschaft Zeugnis von ihrem Glauben geben können und nicht schweigen. Die Mitglieder in der evangelischen Kirche Frankreichs treten sehr engagiert für die Gesellschaft ein, jedoch nicht als Zeugen für das Evangelium, weil sie in ihren Köpfen zwischen Sonn- und Werktag unterscheiden. Die größte Herausforderung für die evangelische Kirche in Frankreich ist daher nicht das Gesetz zur Laizität von 1905, sondern die Grenze im Kopf niederzureißen, die sie davon abhält, Zeugen zu werden.
Christen in Frankreich bilden seit 2008 außerdem eine Minderheit und die Anzahl derer, die keine Bindungen mehr an eine Kirche haben, hört nicht auf zu steigen, weil es sich um ein Generationenproblem handelt. Damit ein Mentalitätswechsel unter den Protestanten Frankreichs stattfinden kann, drängen sich Evangelisation und Weiterbildung als zentrale Fragen geradezu auf.
Die Antworten der evangelischen Kirche auf diese Herausforderung sind die Katechese, die sich in der Begegnung mit Jesus Christus entfaltet, die Ausbildung der Kirchengemeinderäte (Presbyter) mit Hilfe eines Handbuchs (das ihnen Werkzeuge gibt, um die Gemeinden zu schulen), ein „Kirchentag“ alle vier Jahre in einer großen Stadt und eine Fotoausstellung, die in 12 Bildern Glaube und Alltag humorvoll verbindet. Zusammengefasst setzt man die Hoffnung auf eine Kirche, die sich bewegt und berufen ist, sichtbar und präsent in der französischen Gesellschaft zu sein. Die Union zwischen Lutheranern und Reformierten 2013 gab der französischen Kirche Frankreichs neuen Schwung für den Weg, den sie eingeschlagen hat.
„Zeugen zu werden“, das ist für alle, die für diese Tagung Pate standen und mit ihren Beiträgen zum Gelingen beitrugen, die richtige Antwort auf die französische Laizität.
Für die Teilnehmenden, die aus Deutschland und der Schweiz nach Paris gekommen waren, um sich im Foyer über den französischen Laizismus zu informieren, war es eine ausgezeichnete Fortbildung, weil persönliche Ansichten im Blick auf die europäischen Herausforderungen für Kirchen und Religionen in naher Zukunft hinterfragt und verändert werden konnten. Man kam mit mehr Kenntnis über die Situation der evangelischen Brüder und Schwestern im geschätzten Nachbarland zurück, aber auch mit mehr Verständnis für die eigene kirchliche Situation. Es ist eine sehr gute Idee des Foyers und der evangelischen Akademie des Saarlandes, diese Veranstaltung als „Pariser Brückentage“ fest in ihrem Jahresprogramm zu installieren, weil sie eine wichtige Plattform und Horizonterweiterung für solche wichtigen Debatten bietet.
Ein großes Dankeschön der ganzen Gruppe geht daher an die beiden Verantwortlichen, die diese Tagung zum ersten Mal organisiert haben, Frau Johanna Wittmann, Studienleiterin der evangelischen Akademie des Saarlands und Frau Britta François, theologische Referentin des Foyer, mit ihrem tollen Team für ihr großes Engagement und die überwältigende Gastfreundschaft, die die Teilnehmenden während des gesamten Aufenthalts in Paris begleiteten.
Ludwigsburg, 12. Dezember 2014
Katrin Haas